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„Das grüne Akkordeon“ - Annie Proulx

In Bocca al Lupo“ heißt jener hypnotische Song der kanadischen Musikerin Wendy McNeill, der mich zu diesem Roman führte:

Ende des 19. Jahrhunderts bricht ein sizilianischer Bauer mit seinem selbstgeschaffenen grünen Knopfakkordeon nach „La Merica“ auf, um sich dort ein neues Leben aufzubauen. Bereits kurz nach seiner Ankunft gerät er in tragische Verwicklungen und wird in den Docks von New Orleons Opfer einer Lynchjustiz.

In den folgenden Kapiteln wird sein Instrument verpfändet, verkauft, verschenkt, verloren und wieder gefunden.

All seinen Besitzern ist eines eigen: Sie alle wollen Teil des amerikanischen Traums werden – ob Italiener, Deutsche, Polen und Norweger, ob Basken oder Franzosen, ob Afrikaner oder Mexikaner. Am Ende aber müssen sie alle um ihre Identität fürchten. Sie geraten in die Mühlen des gnadenlosen Kampfes ums nackte Überleben und sehen sich Rassismus, Ausbeutung und Verachtung ausgesetzt. Einzig die Musik bleibt als letzte Verbindung zu ihrer Herkunft. Und so erzählt dieser Roman auch von italienischen Volksliedern, von polnischen Polkas, deutschen Walzern und französischen Chansons, von Cajun und Zydeco, von Swing und Blues.

So, wie das grüne Akkordeon im Lauf der Zeit von Hand zu Hand geht, bewegt sich auch der Roman von einer Epoche zur nächsten. Er erzählt nicht nur von den Schwierigkeiten und Vorurteilen denen Immigranten in den USA ausgesetzt waren und sicherlich auch noch sind, er erzählt auch von der Sehnsucht und der Zerrissenheit zwischen dem Wunsch nach Heimat und Zugehörigkeit und dem nach Identität und Verwurzelung.

 

 

Annie Proulx besitzt die Fähigkeit, Geschichten in Geschichten in Geschichten zu weben und von einem Schicksal in das nächste zu gleiten, mit einem unvorstellbaren Maß an Fantasie und ebenso viel Gespür für die tragisch-komischen und oft grausamen Wendungen des Lebens. Immer wieder spinnt sie – in wenigen Nebensätzen – nahezu unvorstellbare schicksalhafte Fügungen in die von ihr beschriebenen Lebensläufe ein, die dem Leser fast den Atem rauben. Mit bildgewaltiger Sprache berichtet sie von Lebenslust und Schmerz, von Liebe und Leidenschaft und von der Suche nach dem großen und kleinen Glück.

Annie Proulx gehört für mich zweifelsfrei zu den großen Erzählerinnen der Romanliteratur.

 

„Der unausweichliche Tag“ - Rose Tremain

Ja, dieses Buch ist ein Krimi – aber kein Thriller, wie der Umschlag es verspricht und das ist gut so! Wohltuend hebt er sich vom üblichen Krimi-Einerlei ab – keine am Reißbrett entworfenen Charaktere – keine Rotwein trinkenden Kommissare – kein konstruierter Horror - es geht um Menschen. Und Menschen kann Rose Tremain auf ganz besondere Art beschreiben – vor allem ihre Tiefen, ihre Obsessionen und ihre Tragödien.

Mit psychologischem Feingefühl erzählt „Der unausweichliche Tag“ von zwei unterschiedlichen Geschwisterpaaren, von Liebe und Hass und davon, wie die Erlebnisse ihrer Kindheit auf die Ereignisse der Gegenwart wirken. Ein Roman von großer Sogkraft, in dem sich die Spannung subtil und langsam schleichend aufbaut. Er gibt tiefe Einblicke in menschliche Abgründe und das in einer wunderbaren Sprache.

 
 

Der ewige Gast“ – Marjorie Kinnan Rawlings

Zugegeben – es waren mehr nostalgische Gefühle, die mich in einem Buchantiquariat nach diesem Roman greifen ließen: Leineneinband und Lederrücken erinnerten mich an all die geheimnisvollen Bücher, die sich auf den Regalbrettern des Wohnzimmerschrankes meiner Eltern befanden, waren sie doch, wie alle bildungsbeflissenen Eltern der 60er Jahre ebenfalls Mitglied in einem Buchclub.

Deshalb wollte ich auch nur ein wenig darin schmökern und rechnete nicht mit der Wirkung dieser Erzählung. Schon der erste Satz fesselte mich und führte mich mitten hinein in das Schicksal eines Mannes im späten 19. Jahrhundert auf einer Farm im Nordosten der Vereinigten Staaten, in ein Leben voller unausgesprochener Sehnsüchte, erlittener Ungerechtigkeiten, Hoffnungen, großer Verantwortung und Menschlichkeit.

Der ewige Gast“ ist ein ruhiges, fast träges Buch, geschrieben in wohl gewählten Worten, in einer Zeit, in der Sprache noch eine andere Bedeutung hatte. Ein Buch, das nicht von großen Abenteuern erzählt, nicht von Aufbruch, Erneuerung und Selbstfindung – es wirkt nostalgisch in Zeiten von Selbstoptimierung und Individualisierungswahn. Es geht um die Liebe zur Familie, zu dem, was ist, es geht um die Fähigkeit sich zu binden und es geht ums Bleiben … ungewöhnlich - aber nachdenklich stimmend und tief berührend!

 
   

 „Der weite Weg nach Hause“ - Rose Tremain

 

Nach dem Tod seiner Frau lässt Lev Mutter, Tochter und seinen treuen Freund Rudi in einem armseligen Dorf irgendwo in Osteuropa zurück, um sich in London für sie alle auf die Suche nach dem Glück zu machen. Berührend, melancholisch - aber nie ohne Humor - schildert dieser Roman seine Erfahrungen, seine Erlebnisse und Begegnungen mit Menschen unterschiedlichster Art.

 

Levs Geschichte geht unter die Haut – es ist eine Geschichte unserer Welt, wie sie heute ist – ohne moralische Bewertung - eine Geschichte von der Sehnsucht nach einem besseren Leben – nach einem Leben überhaupt; eine Geschichte von Heimweh und Liebe, von Sehnsucht und Trauer, von Schuldgefühlen und Hoffnungen und Rose Tremain beschreibt diese Gefühle – unsentimental und warmherzig zugleich. Ein Buch über Liebe und Freundschaft und die Fähigkeit zur Wandlung. Zurecht ausgezeichnet mit dem „Orange Prizefor Fiction“. Und das Schönste daran: Es gibt ein Happy End!

   

Eine Geschichte der Wölfe – von Emily Fridlund

Ein ruhiger, kraftvoller Roman über Einsamkeit, Isolation und über die Fragen nach Verantwortung und Schuld durch Unterlassung.

Die unterschiedlichen Erzählstränge und ungeordneten Zeitsprünge wirken teilweise etwas unzusammenhängend und verwirrend. Irgendwie scheint keiner von ihnen wirklich zu Ende erzählt.

Dennoch ein großartiges, tiefes und sehr beunruhigendes Buch, das man nicht so einfach wieder beiseite legt. Die Geschichte über das trostlose Leben der 14-jährigen Linda, in den düsteren Wäldern Minnesotas, die Kargheit und Armut ihres Elternhauses, ihr Außenseitertum in der Schule und ihrer daraus resultierende Sehnsucht nach Zugehörigkeit und Liebe lässt mich nicht unbeeindruckt zurück. Emily Fridlund ist es gelungen, diese Gefühle und Ereignisse unsentimental und dennoch überzeugend zu beschreiben.

Eine Geschichte der Wölfe ist eine Geschichte von tiefer Trauer – herzzerreißend und verstörend!